Fotografie: Kay von Aspern

Vorwort
Layout der Erinnerung

Die Erinnerung ist unscharf – egal welche. Zur Vorbereitung dieses Buches hatte mich Robert Waldl in sein Atelier eingeladen; es gab Tee – Waldl startete unsere gemeinsame Reise in seine Bildwelten mittels eines alten Kodak-Karussells. Es drehte sich um einige hundert Bilder und rund um die Welt. Bilder wie durch einen Dunstschleier gesehen und mit verschwimmenden Konturen. Eine Frau im Bikini, dann eine Landstraße in Griechenland, dann das Bild eines Cafés irgendwo im Süden, dann – ein vages Erkennen des vergessen geglaubten Eigenen in der Erinnerung. Gewissermaßen Voraussetzung für meine Aneignung dieser fremden Reisebilder war ihre Unschärfe, und sie erzeugte eine Verwechselung mit den Bildern im eigenen Gedächtnis. Dass die unscharfen Reisebilder gleichsam einem Zufall geschuldet, dann aber als gültig erklärt wurden und insofern als Urmutter und Initial-Idee einer Beschäftigung mit dem Bild von Welt als einer „Unschärfe-Relation“ zu sehen sind – das erkennt die Kunsthistorikerin Margit Zuckriegl, die gemeinsam mit dem Soziologen Reinhard Bachleitner das fotografische Œuvre von Robert Waldl untersucht, seine Intentionen freilegt und im Verhältnis von Tiefenschärfe und Fokussierung, von bewusst gesteuerter Unschärfe und unwillkürlicher Ahnung Waldls fundamentale Fragestellungen nach Identität und Authentizität ortet.
In der Betrachtung der Reisedias verlor ich mich noch wenig, träumte in den Landschaftsbildern und begann dann, mich mit der Arbeit an diesem Buch zu beschäftigen.

Thomas Kussin
(aus: Reading Identities / Identitäten lesen, Verlag Sonderzahl, Wien 2018)