Gender Studies, Inkjetprints, 2015, je 59x59cm
Ausstellungsansicht Kunstraum Nestroyhof, Wien, 2018
Fotografie: Christoph Fuchs



Eraserhead

Das Selbstwertgefühl des modernen Menschen ist an sein individuell gültiges Erscheinungsbild gekoppelt. Mit Bedacht und Sorgfalt wird an der gefälligen Präsenz dieses Eigenbildes gearbeitet: Styling und Kosmetik, Mode und Medizin werden herangezogen, um Idealvorstellungen nahezukommen, um gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. Und dabei wird übersehen, wie stark diese vom Zeitgeschmack diktierten Parameter unser aller Konterfei determinieren: Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Schichten und Kreisen wird ablesbar, Alter und Geschlecht bilden die Koordinaten dieser Zuordnungssystematik.
Was aber, wenn wie in David Lynchs Frühwerk „Eraserhead“ die Auslöschung, das Tilgen der individuellen Charakteristika in den Vordergrund treten? In dem Film von 1977 hat die urban-industrielle Kulisse das Ambiente der Natur völlig getilgt, hat der Radiergummi der Auslöschung das Human-Menschliche in etwas Horrorartig-Surreales verwandelt. Das Moment der Veränderung ist immer ein Eingriff in die menschliche Integrität – wie mit Skalpell, Seziermesser und Schere im Film agiert wird, so eignet sich die bildende Kunst spätestens seit Salvador Dalí, besonders seit den Aktionisten, dieses Recht auf Veränderung an der physischen Erscheinung an.
In Robert Waldls „Gender Studies“ nimmt sich eine filmerprobte Visagistin der Foto-Modelle an; Waldl hatte Freunde und Bekannte gebeten, für diese Erkundungsreise ins Reich der Transgender-Phänomenologie zur Verfügung zu stehen: Männlich konnotierte Gesichtsmerkmale wurden direkt an den Protagonisten getilgt; Augenbrauen und Bart, Haaransatz und Koteletten wurden rasiert, ausradiert. An den weiblichen Modellen wurden Schminke und Frisur neutralisiert; gleiche Kleidung und Haltung für alle verstärkten den Eindruck des Blanden, Gleichen, Angepassten. Die aus dem Fokus agierende Porträtfotografie versucht sich auf dem Weg zu einem neuen Menschenbild: Wenn alle geschlechtsspezifischen Charakteristika nivelliert und ausradiert werden – entsteht ein neues, politisch korrektes Bild. Der Mensch, die Menschin ist nicht länger das Bild eines gelebten Lebens, sondern ein Konstrukt, bereinigt und gleichförmig, neutral und weichgezeichnet.
Ohne die Lebenslinien in der fazialen Landschaft gerät das Menschenbild aus den Fugen und wird zu einem konturlosen Amalgam, das alterslos und geschlechtslos, puppengleich im Raum schwebt. Die polnische Performancekünstlerin Ewa Partum hat sich selbst einer ähnlichen Versuchsanordnung unterzogen: Für ein Porträtfoto ließ sie von einer Visagistin ihre rechte Gesichtshälfte wie für eine Filmrolle auf „alt“ schminken, die andere blieb unverändert. Das Doppelgesicht gerät so zu einem Indikator für Zeit – so wie Waldls „Gender Studies“ zu einem Sinnbild für visuelle Begradigungsmaßnahmen und gegenderte Bildkonstruktion werden.

Margit Zuckriegl
(aus: Reading Identities / Identitäten lesen, Verlag Sonderzahl, Wien 2018)