80 Kleinbild Diapositive, Kodak -Karussell, 1980/81, 35mm Slides
Installationsansicht Kunstraum Nestroyhof, Wien, 2018
Fotografie: Christoph Fuchs


Reise ins Unbekannte und retour

Eine Explorationsreise in die unbekannten Weiten ferner Kontinente sollte der weltumspannende Trip von Robert Waldl sein, den er als 22-jähriger Noch-nicht-Student antrat und der ihn von Herbst 1980 bis Sommer 1981 über Russland nach Indien und Neuseeland, in die Südsee und nach Australien, vom Mekong bis zum Mississippi und von Kathmandu bis New York führte. Die Reise war gezielt geplant und richtete sich geradewegs nach Osten, um von den USA und Kanada aus wieder Europa zu erreichen – und doch legte die Route eine Fährte ins Unbekannte: die unendliche Ausbeute an Diapositiven, die Station um Station, Städte und Landstriche, Tiere und Menschen, Straßen und Orte reproduzierte, war großteils von einer Bewegungsunschärfe gezeichnet, die gerade das Unterwegssein an sich abbildete. Als Robert Waldl dieses Konvolut von Dias bei einem Umzug wiederfand, stand für ihn fest, dass er hier gleichsam sein fotografisches Frühwerk vor sich hatte. Ohne künstlerische Intention oder dokumentarisches Interesse entstanden, sollten diese tausende Kleinbilddias ein bloßes Reisetagebuch, ein Moment des Erinnerns sein und gerieten doch unversehens als Bilderkonvolut zu einem Initialpunkt für das Sehen von Welt, dem Robert Waldl bis in seine aktuellen fotografischen Serien treu geblieben ist. Ursprünglich einem Fehler bei der Belichtung geschuldet, wurde die Unschärfe der Fotos zu einer eigenen Bildsprache und gleichsam im Nachhinein für gültig erklärt; die Reise ins Unbekannte der Bildlichkeit hatte sich umgekehrt und etwas zu Tage gefördert, was gar nicht abzubilden war, nämlich gewissermaßen eine „Unschärfe-Relation“, in der Bildsujet und Vergänglichkeit zusammenfallen, in der örtliche Veränderung und zeitliche Unbestimmtheit korrelieren und in der sich Dokument und Imagination treffen. Das Ephemere von kurzzeitigen Stop-overs, von zufälligen Bekanntschaften und momentanen Ereignissen lässt sich in den verwischten Konturen, in vermengten Farbvaleurs und in der schimmernd-wässrigen Oberfläche ablesen – eindringlich wie ein Traum vor dem plötzlichen Erwachen, licht und luzid wie eine glückhafte Erinnerung, vage und vergehend wie das Nachsinnen in vergangenen Gedächtnisbildern.

Margit Zuckriegl
(aus: Reading Identities / Identitäten lesen, Verlag Sonderzahl, Wien 2018)