Ansichtskarten, Offset, je 14,5x10,5cm
Ausstellungsansicht Kunstraum Nestroyhof, Wien, 2018
Fotografie: Christoph Fuchs


Konstruierte Idyllen - eine Aneignung

Mit Grußpostkarten ist immer eine Botschaft verknüpft: Ansichtskarten künden von Sehenswürdigkeiten und Reisezielen, Blumenstillleben ersetzen echte Buketts, kleine Kätzchen appellieren an eine romantische Gefühlsebene. Aber die Ansichtskarte mit dem Bild einer heilen Familie? An wen wird so eine Bildnachricht verschickt? Wer verknüpft damit die Vorstellung von erstrebenswerter Idealkonstellation oder wem wird so ein Wunsch ins Haus gesandt? Die Modellfamilie: junges, gestyltes Ehepaar mit gelungenem Nachwuchs, der Vater immer den Blick auf seine Lieben gerichtet, die Komposition schön pyramidal angeordnet, das Setting im adrett dekorierten Ambiente. Ein Konstrukt des Lebensgefühls der 1960er Jahre kündet von bürgerlicher Moral und „Glück im Winkel“-Mentalität. Wie kommen solche Botschaften auf Postkarten?

Robert Waldl fielen diese Motive bei einem Griechenland-Urlaub am Kiosk auf. Interessiert an den Bildmöglichkeiten und Differenzen von Porträt und Aussage ganz generell, erwarb er ein Set dieser Postkarten und verleibte sie durch den Aneignungsprozess seinem fotografischen Werk ein. Im Zusammenhang mit seinen Recherchen zu Selbstbild und Fremdbild, zu Manipulation und Mutation in der Bildgenese, zum Rezeptionsverhalten angesichts von Schärfegraden und Identifikation des Betrachters bzw. der Betrachterin mit dem Bild stellen die fremden Familienporträts zwar eine eigene Werkgruppe, aber keinen Fremdkörper dar. Es verlagert sich lediglich die Aufmerksamkeit weg vom Prozessualen, das ansonsten die Bildproduktion von Robert Waldl kennzeichnet, hin zum Endergebnis: Die Postkarten wollen gekauft, beschriftet, verschickt, mit Mitteilungen kombiniert werden – sie sind, wie in der kunsthistorischen Emblematik, Teil einer intendierten Wort-Bild-Botschaft, sie lassen Freiraum für Text, für eine Einbindung in eine persönliche Widmung. Und sie sind verräterisch; sie künden von einem Zeitgeschmack und einer gesellschaftlichen Utopie, von einer Idealvorstellung, die wohl nur im Konstrukt zu existieren vermag. Das Bild des idealtypischen Menschen, der perfekten Familie, erscheint gleichsam als Manifest eines Glücksstrebens, das heute irritiert und amüsiert; die Unschärfen des Individuellen, Unperfekten, Nichtangepassten sind Teil des Lebens, nicht jedoch Teil eines geschönten, artifiziell harmonisierten Bildes von Leben, das mit solchen Fotografien transportiert wird. Die konstruierte Familienidylle wird somit zum eigentümlichen Sonderfall, zur theatralischen Inszenierung des vermeintlich Normalen – eine Haltung, der Waldl in seinem fotografischen Schaffen permanent nachspürt.

Margit Zuckriegl
(aus: Reading Identities / Identitäten lesen, Verlag Sonderzahl, Wien 2018)