96 Portraits von FussballerInnen am Ute Bock Cup
2016

Reinhard Bachleitner

 

Das fotografische Selbstbild als Reflexionsmedium
Porträtfotografien – ein Weg zur Selbstfindung, Selbstvergewisserung und Selbstverweigerung. Das Beispiel von asylwerbenden Migrantinnen und Migranten im Kontext des Ute Bock Fußball-Cups

I.
Kulturgeschichte wie Sozialgeschichte des Sports dokumentieren, dass funktionalistische Sichtweisen und Deutungen des Sports sowohl für gesellschaftliche als auch für individuumsbezogene Ziele immer wieder auftauchen und umfassend beschrieben werden. Die wechselvolle Geschichte des Phänomens „Sport“ zeigt, dass auch die Instrumentalisierung in Bezug auf die Identitätsbildung schon immer thematisiert wurde. Aktuell, und hervorgerufen durch die Flüchtlings- und Migrationswellen in Europa, wird diese funktionale Möglichkeit des Sports wieder in den Vordergrund gerückt, da Sport die soziale, psychische wie auch die körperliche Identitätserfahrung berührt und somit eine (Teil-)Antwort auf die komplexe Frage „Wer man denn ist“ liefern kann. Gerade in moderneren wie in postmodernen Gesellschaften ist Identität ständig neu zu gestalten und auszuhandeln. Begleitet wird dieser Prozess von den heute intensiv geführten Diskursen um soziale Anerkennung in den sich ständig wandelnden und aktiv veränderten Umwelten (vgl. etwa Supper 1999, S. 92).

Sport kann nun in diese genannten Prozesse eingreifen und gestalterisch mitwirken, zumal er als gemeinschaftsbildend und -bindend sowie insgesamt als integrationsfördernd für Asylwerberinnen und -werber gelten kann (vgl. zur Inklusionsfunktion des Sports u. a. Dimitriou 2011a, Dimitriou 2011b).

Gerade der Fußballsport als ein globales Phänomen, mit gleichem Regelwerk, gleicher Symbolik und oftmals identen Ritualen, erweist sich als ein sozial offenes und leicht zugängliches Phänomen für Asylsuchende mit ihren völlig verschiedenen kulturellen Hintergründen und sozialen Herkünften. So meint auch Klaus Mitterdorfer, Präsident des Kärntner Fußballverbands, dessen Vereine 300 Asylwerberinnen und -werber aufgenommen haben: „Im Fußball spielen unterschiedliche Herkunft, Bildung, Kultur und Religion keine Rolle“ (Interview im „Standard“ vom 28. September 2016, S. 27).

Fußballsport hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem massenkulturellen Phänomen mit einer durchaus breiten sozialen Akzeptanz entwickelt: Die sozialen Qualitäten dieses Massenspektakels sind Ausdruck einer populären Kultur und bedienen die unterschiedlichen Mentalitäten und Identitäten in ihren je spezifischen Lebenswelten (vgl. dazu u. a. Horak/Maderthaner 1997, S. 13f).

II.
Kann nun Sport und insbesondere Fußballsport diese identitätsfördernden und integrationsforcierenden Erwartungshaltungen erfüllen oder erweist sich dies eher als ein ideologiegebundener theoretischer Hintergrund, der auf einem falschen Bewusstseins- und Rechtfertigungsgrund für eine nachweisliche Funktionalität des Sports aufbaut. Daneben gibt es doch – jenseits der instrumentellen Sichtweise des Sports – auch noch andere Annahmen und Interpretationsmuster über seine (identitätsstiftenden) Wirkweisen (vgl. dazu etwa Henning 2001, S. 37–61).

Betrachten wir daher einleitend die Annahmen über Entstehung, mögliche Einflussfaktoren sowie die Prozessstrukturen der Identitätsbildung näher, wobei es sich – auch im Alltagsgebrauch des Begriffs – um ein Konstrukt zum Verständnis des „Selbst“ handelt (vgl. umfassend dazu u. a. Keupp 1994, Haußer 2002, Eickelbasch/ Rademacher 2004, Abels 2010, Röttgers 2016).

Bestimmend für die sozialwissenschaftliche Auffassung und Konzeption des Konstrukts Identität war vor allem der Ansatz von Mead (1936/1977), der das „Selbst“, also die eigene Identität, als Zusammensetzung und im Zusammenwirken von „I“ und „Me“ sieht, aus dem sich dann das „Self“ ergibt. Das „I“, die Innenperspektive, ist dabei das nicht Objektivierbare und Spontane des Individuums, somit das Individuelle in der jeweiligen Rolle. Das „Me“, die Außenperspektive dagegen, ist jener Aspekt des erkennenden Selbst, unter dem man vermutet, wie man mit den Augen der anderen wahrgenommen wird, und so die Rollenzuweisungen reflektiert.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Identität als Konstrukt sich ständig verändert und das Ergebnis eines laufenden Prozesses darstellt, der als Zusammenspiel innerhalb der Person zu verstehen ist. Das Aushandeln im sozialen Umfeld, die Auseinandersetzung mit erfahrenen Erlebnissen und eingetretenen Ereignissen, bestimmt das jeweilige Selbst. Faktoren wie Kultur, Nation, Sprache, Herkunft, Religion spielen dabei ebenso eine konstitutive Rolle wie die sozialen Einbindungen, eingegangene Beziehungen, der Arbeitsalltag oder Freizeitaktivitäten (Sport). Das heißt insgesamt: Die mit diesen Aktivitätsfeldern verbundenen und eingenommenen sozialen Rollen, die der Einzelne ausfüllt oder zugewiesen bekommt, formen und erzeugen das jeweilige Selbst. Die Liste dieser Identitätsgegenstände umfasst letztlich ein unbegrenztes Angebot und hängt von der jeweiligen subjektiven Bedeutungszuschreibung (Identifikation) des Individuums ab (vgl. Haußer 2002, S. 219).
Identität ist somit nichts Eindeutiges und Eindimensionales und unwiderruflich Festgelegtes, sondern ein Patchwork aus Effekten all dieser Elemente, welche zudem einem zeitlichen Wandel unterliegen: „Die Zeiten ändern sich und wir verändern uns mit ihnen.“

Dies ist wohl auch einer jener Gründe, die dazu führen, dass wir selten auf „transparente“ Subjekte stoßen, die Auskunft über ihre Identität geben können, denn selbst wenn sie danach forschen möchten, bleibt ihnen das Selbst oft verschlossen. Sie bewegen sich mitunter in einer Sphäre der Vagheit in die Zukunft, da sie nicht wissen, wer sie selbst sind.
Aus soziologischer Perspektive entsteht Identität aus den vielfältigen gesellschaftlichen Interaktionssituationen, die aus den genannten gesellschaftlichen Erfahrungsbereichen und Tätigkeitsprozessen hervorgehen. Es ist ein Bild von Selbst, welches über die Zuschreibungen und Beurteilungen der anderen selbstreflexiv entwickelt wird und in dem auch Sport eine Rolle einnehmen kann.
Gerade für Asylwerberinnen und -werber werden die genannten Prozesse meist einer radikalen Veränderung unterzogen und fordern eine völlige Neuorientierung des Individuums ein, in welcher dann aktiver Fußballsport eine erste Ankerfunktion übernehmen kann.

III.

Im Kontext von praxeologischen Fragestellungen versteht man schließlich die Gesamtheit von Identität als all das, was wir uns selbst darauf antworten, wenn wir fragen: „Was bin ich eigentlich?“, also gleichsam eine bewusste Selbstkonstruktion vollziehen. Die Frage nach dem Selbst, die wir nicht immer gerne stellen und zu der Mut vorhanden sein muss, führt nicht immer zu gleichen Antworten und kann oft auch unbeantwortet bleiben, da wir der subjektiven Reflexion entgehen wollen und sich ihr – aus welchen Gründen auch immer – gerne entziehen.
Eine Verdichtung – verbunden mit einer ungewollten Dramaturgie – erfährt die Frage nach dem Selbst, wenn diese im Angesicht eines „Selbstbildes“, hier angesichts einer Porträtfotografie, gestellt wird. Die so bildhaft gestützte Selbstwahrnehmung führt zu einer Selbstvergewisserung, die eine Dimension enthält, die uns unaufgefordert in die eigenen Tiefen hineinführt und uns fragen lässt, inwieweit wir nach außen hin das repräsentieren, was wir innerlich empfinden, fühlen und meinen oder auch darstellen wollen.
Diese Konfrontation mit dem Selbstbildnis eröffnet verstärkt die Frage nach der eigenen oft schmerzhaften Selbsteinschätzung. Dabei können die bisher getroffenen Entscheidungen gerade von Asylwerberinnen und -werbern selbst angezweifelt werden: Hat man wohl richtig gehandelt, all das hinter sich zu lassen, was einst das Selbst mitbestimmt hat und die Grundlage der Identität war?
Mit der Betrachtung des fotografischen „Selbst-Bildes“ ist eine zwischen Eitelkeit und Zwanghaftigkeit schwankende Vorstellung verbunden, sich der öffentlichen Wahrnehmung preiszugeben. Dies meint die Zulässigkeit, das eigene Abbild für andere – letztlich Fremde – frei zugänglich zu machen und sein Selbst zumindest der visuell-interpretativen Aneignung durch den Anderen freizugeben. Es kann Verunsicherung auslösen und fundamentale Irritation bedeuten. Gerade an der unterschiedlichen Selektion der freigegebenen „Bildschärfegrade“ des eigenen Fotos lässt sich dies ablesen. Diese Handlung bzw. Entscheidung fordert Mut ein und erzeugt mitunter individuelle Unruhe und Unbehagen. Nicht zuletzt deswegen, weil sich fotografische Selbstdarstellungen in die Erinnerung eingraben und sich generell dem Vergessen widersetzen bzw. entziehen.

All diese Überlegungen – verbunden mit Unsicherheiten gegenüber und Zweifel an der eigenen Identität – führen wohl auch dazu, dass wir uns nicht gerne „scharf“ abbilden lassen wollen, sondern jene Verwischtheit in der Bildschärfe anstreben, die das eigene „Selbstbild“ betreffen: eben eine unscharfe Selbstreflexion. Aber auch die Kreativität des Betrachters ist bei Unschärfe verstärkt gefordert, ist doch das unscharfe Bild des zu betrachtenden Anderen neu zu konstruieren und gilt es diese Unschärfe abzuarbeiten, gleichsam mit Konturen zu versehen und mit Inhalten zu füllen.
Das fotografische Abbild perfektioniert in seiner spezifischen Form und Art das situationsbezogene Selbstbild. Es repräsentiert gleichzeitig auch das Fremdbild, das uns zugeschrieben wird, und stellt die Bewertung durch den sozial Anderen dar. Das so festgehaltene Fotodokument ermöglicht die wiederholbare Betrachtung, Interpretation und Erinnerung an den „Augenblick“ eines agierenden Selbst: „Das bin ich beim Fußball“, oder nur „Das hier bin ich“, worauf stolz verwiesen wird, und zwar im Sinne von „Selbst-Anerkennung“ und einem neuen Selbstwertgefühl. Der Einzelne hat einen Identitätsanker gefunden, ein Bild von sich selbst, hervorgegangen aus einem gesellschaftlich akzeptierten Bereich, der mit den wesentlichen westlichen Wertvorstellung besetzt ist: Leistungsorientierung bei gleichzeitiger Kooperation sind im Fußballspiel gleich auf welchem Spielniveau dominant, auch wenn es sich bei Sport – und dessen sollte man sich bewusst sein – nur um einen Aspekt in der Vielfalt der identitätsstiftenden Elemente handeln kann.

Doch wie sehen die Betroffenen sich in diesem Kontext selbst bzw. wie stufen sie ihre Erkennbarkeit anhand einer Porträtfotografie ein?

Es konnte gezeigt werden, dass die Frage nach der eigenen Identität oder besser nach den Vorstellungen und Bildern vom Selbst immer eine doppelte ist: Wie sehen wir uns selbst und wie glauben wir von anderen gesehen zu werden, aus beiden entsteht dann das Bild von uns „selbst“. In der vorliegenden Projektidee tritt eine Modifikation ein: Einmal wählt man das Abbild vom Selbst bei gleichzeitiger Wahl, was für andere von diesem Selbstbild (Porträtfotografie) zur visuellen Wahrnehmung freigegeben wird. Es erfolgt also eine unmittelbare und engste Verknüpfung von Selbstbild und der Konstruktion dieses Selbstbildes durch andere Betrachter. Diese stellen jedoch eine unbekannte und vielfältige Öffentlichkeit dar, welche mit positiven wie negativen Folgen verbunden sein kann (z. B. Wiedererkennung oder Zuordnung).
Die Auszählung der insgesamt 96 fotografierten Fußballer und Fußballerinnen – 71 Männer und 25 Frauen – zeigt folgende Verteilung nach den fünf „Schärfegraden“. (1 bedeutet hohe Bildschärfe, 5 bedeutet geringe Bildschärfe, d. h., das Gesicht ist kaum mehr erkennbar).

                           Bildschärfegrad:   Nennungen (n = 96)
                                                   1: 43
                                                   2: 12
                                                   3: 26
                                                   4:  8
                                                   5:  7

Von Interesse sind vor allem die erfragten bzw. erfahrbaren Begründungen für die Entscheidung eines gewählten Bildschärfegrads: Es zeigen sich hier nicht nur unterschiedlichste Motive über alle Personen, sondern auch innerhalb des gleichen Bildschärfegrades erhält man unterschiedliche Gründe: Die Furcht, identifiziert zu werden, führt zur Wahl von hoher Unschärfe des Porträtfotos, man möchte sich dem möglichen politischen Zugriff staatlicher Ordnungsinstitutionen entziehen oder sich gegen andere Zuordnungsmöglichkeiten abgrenzen; andere wiederum wollen generell nicht als fußballsporttreibende Migranten erkannt werden und wählen deswegen einen hohen Grad an Unschärfe. Frauen wählen unter anderem die Unschärfe des Fotos, weil sie nicht als „Objekt“ für sexistische Fantasien dienen möchten. Andere hingegen lassen sich „unscharf“ abbilden, weil sie die dahinterstehende Kunstidee des Projekts gut finden und es fördern möchten.
Daneben zeigt sich aber eine Mehrheit, die stolz ist, bei einer Fußballmannschaft eine neue Identifikationsquelle gefunden zu haben; sie dokumentieren ihr Selbst selbstbewusst in der Öffentlichkeit, und dies ist nur über die Bildschärfe mit dem Grad 1 möglich.

Resümierend kann gesagt werden: Die Gründe der Selbstthematisierung und Selbstvergewisserung sind vielfältig und reichen mitunter auch bis zur Selbst(bild)verweigerung mit 15 Nennungen aus den Stufen 4 und 5.

Oftmals verbunden mit der Selbstthematisierung ist der bereits angesprochene Prozess der Integration durch Sport – etikettiert mit dem Begriff Inklusion. Dieser ist bereits mehrfach analysiert und in seinen Grundannahmen bestätigt worden (vgl. insbesondere Dimitriou 2011a). Sport kann unter spezifischen Rahmenbedingungen unterstützend für den Integrationsprozess sein bzw. diesen einleiten.
Eher kritisch und einschränkend äußern sich Soeffner/Zifonun (2010, S. 289) zu einer pauschal eintretenden integrationsfördernden Wirkung des (Fußball-)Sports: „Integration findet also zunächst in eine soziale Welt statt, so etwa in die Welt des Sports. Integration z. B. durch Sport, d. h. Integration in die Gesamtgesellschaft durch die Teilhabe am Sportmilieu, ist dagegen äußerst voraussetzungsreich. Sie ist nur so lange möglich, wie die Welt des Sports selbst in die Gesellschaft integriert ist, und hängt ab von der Stellung des Sports im Gesamtgefüge der Gesellschaft. In hochdifferenzierten Gesellschaften mit verselbständigten Subsinnwelten, die über ihre eigene Logik verfügen, ist Integration durch Sport nur noch schwer denkbar.“

IV.
Als Resümee lässt sich daher festhalten: Zwischen Sport, Identität und sozialer Integration baut sich eine Relation auf, aus der durchaus eine „kausale“ Beziehung und somit entsprechende soziale Effekte für das Individuum hervorgehen können, wenngleich sie nicht zwingend eintreten müssen.
Fußballsport als Mannschaftssport, Zuschauersport und dominanter Mediensport besitzt zahlreiche Selbstdarstellungsmöglichkeiten, ist er doch einmal auf Kooperation angewiesen und somit gemeinschaftsbildend und zum anderen meist mit hohem persönlichem Leistungsengagement verbunden. Er ist heute Bestandteil einer gesellschaftlich weitgehend akzeptierten Subkultur mit offenen sozialen Grenzen. Fußballsport eignet sich auch aufgrund der erwähnten basalen Anforderungen an die sprachlichen Interaktionskompetenzen und Aushandlungsprozeduren als ein sozial breit einsetzbares Medium, das in seinem konkreten Kontext „Kommunikation“ erzeugt und ermöglicht. Man lernt sich gegenseitig zu verstehen und es wird ein Gefühl der partiellen Zugehörigkeit entwickelt, zugleich eröffnet sich ein Feld, in welchem die erlebte (traumatische) Vergangenheit zumindest kurzzeitig vergessen werden kann.
Die eingangs gestellte Frage nach dem Potential des Sports zur Identitäts- und Integrationsleistung für fußballaffine Asylwerberinnen und -werber lässt sich nach diesen, wenngleich skizzenhaft vorgetragenen Exkursen nun differenzierter beantworten:
Grundsätzlich zeigen die Strukturen des Fußballsports, dass dieser aufgrund seiner Zugangsbedingungen als relativ offenes soziales Subsystem gelten kann und einen Beitrag zur sozialen und gesellschaftlichen Inklusion sowie zur individuellen Identitätsentwicklung in einem neuen und fremdkulturellen Umfeld zu leisten vermag. Asylwerberinnen und -werber, die ihre gewohnten identitätsstiftenden Muster und Identitätsanker wie Nation, Kultur, Beruf, Familie etc. hinter sich gelassen haben, suchen erneut nach identitätsstiftenden Sinninstanzen, und hier kann Fußballsport als ein Baustein auf diesem nicht leichten Weg unterstützend wirken. Die Mehrheit der Fußballsporttreibenden signalisiert, dass für sie hier eine Identifikationsquelle mit Strahlkraft für das Selbst vorliegt.
Diese Sozialisationsvorteile des Sports für den Einzelnen hängen jedoch nicht nur von der unmittelbaren Vermittlungsbereitschaft der beteiligten Gruppen und Organisationen ab, sondern auch von dem Stellenwert und der Bedeutung des Subsystems „Sport“ in der jeweiligen Gesellschaft, in die Asylsuchende integrationsbereit sind. Der Stellenwert des Fußballsports ist dabei weniger von dessen allgemeinem gesellschaftlichem Image abhängig, sondern verstärkt von der Relevanz und der Bedeutung im unmittelbaren sozialen Umfeld der Asylsuchenden und ihres angestrebten Lebensumfelds.
Das erhoffte Integrations- und Identifikationspotential gegenüber dem Sport erweist sich als eine Erwartungshaltung bzw. als ein theoretischer Ansatz, der in der Anfangsphase der neuen Lebensentwürfe der Asylantinnen und Asylanten relevant werden dürfte. Er kann dabei begleitend auf dem langen Weg der neuen Identitätsfindung und der verschiedenen Inklusionsprozesse in ein fremd-kulturelles Umfeld sein, stellt aber eben nur einen Bereich unter vielen in den Lebensvollzügen des Einzelnen dar. Die soziale Kraft des Sports zur Überwindung von Kulturdifferenzen und sozialen Barrieren sowie zur Erhöhung der Selbstwertgefühle bei Asylsuchenden sollte dabei nicht überschätzt werden.

Kritisch ist anzumerken, dass zahlreiche Fragen hier nicht beantwortet werden konnten und weiterer Untersuchungen bedürfen, etwa Befragungen, wie fußballspielende Asylwerberinnen und -werber insgesamt diese Thematik sehen, ob geschlechtsspezifische Unterschiede in diesen vielschichtigen Kontexten bestehen, weiters welche Effekte sich langfristig für fußballaffine Asylsuchende einstellen bzw. wie Identitätsfindungsprozesse und Integrationskarrieren verlaufen und ob Integrationsvorteile und Selbstvergewisserungsvorteile für jene, die Fußballsport ausüben, gegenüber den nicht Fußballsport treibenden Asylwerberinnen und -werbern bestehen.

Darauf gilt es empirisch generierte Antworten zu finden, will man nicht in Vermutungen sowie einer alltagstauglichen ideologischen oder plausibilitätsorientierten Argumentation verharren.

V. Literatur

Abels, Heinz (2010): Identität (2. Auflage). Berlin, New York, Springer Verlag.
Dimitriou, Minas (2011a): Sport zwischen Inklusion und Exklusion. S.Z.D. Arbeitspapier Praxis der Robert-Jungk-Stiftung
Dimitriou, Minas (2011b): Sport, Medien, Identität. Funktionelle Implikationen zwischen Machtinszenierung und Identitätsstiftung. Habilitationskolloquium Universität Salzburg
Eichberg, Henning (2001): Sport, Nation und Identität. In: Heinemann, Klaus / Schubert, Manfred: Sport und Gesellschaften. Schorndorf, Hofmann Verlag, S. 37–61.
Eickelpasch, Rolf / Rademacher, Claudia (2004): Identität. Bielefeld, transcript Verlag.
Haußer, Karl: Identität (2001). In: Endruweit, Günter / Trommsdorf, Gisela (Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie (2. Auflage). Stuttgart, Lucius und Lucius Verlag, S. 218–220.
Horak, Roman / Maderthaner, Wolfgang (1997): Mehr als ein Spiel. Fußball und populäre Kulturen im Wien der Moderne. Wien, Löcker Verlag.
Keupp, Heiner (1994): Ambivalenzen postmoderner Identität. In: Beck, Ulrich / Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Frankfurt/Main, Suhrkamp Verlag, S. 336–350.
Mead, George (1977): Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt Main, Suhrkamp Verlag (Orginal 1934).
Röttgers, Kurt ( 2016): Identität als Ereignis. Bielefeld, transcript Verlag.
Soeffner, Hans-Georg / Zifonun, Dariuš (2010): Integration – eine wissenssoziologische Skizze. In: Cappai, Gabriele / Shimada, Shingo / Straub, Jürgen (Hrsg.): Interpretative Sozialforschung und Kulturanalyse. Hermeneutik und die komparative Analyse kulturellen Handelns. Bielefeld, transcript Verlag, S. 279–296.
Supper, Silvia (1999): Postmoderne Identitätsentwürfe und Minderheiten. Wege zwischen Assimilation und Marginalisierung. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Heft 4 (1999), S. 91–104.

(aus: Reading Identities / Identitäten lesen, Verlag Sonderzahl, Wien 2018)